Aquarius
Installation
mit Reinhold Lay
Jahr: 2019
Format: ca. 3,40 x 8,00 m (Größe variabel)
Technik: 3 Dialeinwände (1,25 x 1,25 m), 2 Teppiche, Drehhocker, Metallgestell, Holzplatte, Monitor, MP3-Player, Ständer
"Seismographische Warnzeichen der Realität"
Artikel im Traunsteiner Tagblatt von Axel Effner
Aquarius
2019 | Rede von Judith Bader zur Eröffnung der Rauminstallation „Aquarius“ von Helmut Mühlbacher und Reinhold Lay in der Alten Wache im Rathaus Traunstein
Meine Damen und Herren,
die Rauminstallation „Aquarius“ besteht aus verschiedenen Bestandteilen: 3 Dialeinwände mit den fragilen Linienzeichnungen von Helmut Mühlbacher, ein Monitor, der eine Videocollage von Reinhold Lay in Endlosschleife ablaufen lässt, und eine Hörstation mit Texten, die von verschiedenen Sprechern, unter anderen von Mitgliedern der Theaterwerkstatt Traunstein, eingelesen sind. Leinwände und Monitor sind in einem offen gestellten Viereck angeordnet, in dessen Mitte für den Betrachter ein Drehstuhl bereitsteht, der dem Betrachter nahelegt, immer wieder unterschiedliche Positionen einzunehmen und die Blickrichtung fortwährend zu verändern. Durch die Anordnung dieser Bestandteile auf einem alten Teppich entsteht ein offen gehaltener Raum, in den der Besucher eintritt oder ihn wieder verlässt. Etwas abgesetzt davon befindet sich die Hörstation mit Kopfhörern, die den Gast in einen neu erschaffenen akustischen Raum versetzt, denn nun dominieren die Texte der Hörstation, die Stimmen aus der Videocollage treten in den Hintergrund, die laufenden und statischen Bilder aber bleiben. Der Entscheidung des Besuchers ist es überlassen, zwischen der Hörstation und den Bildern gedankliche Beziehungen und visuell-auditive Verknüpfungen herzustellen.
Die Ausstattungsgegenstände der beschriebenen Rauminstallation stammen ursprünglich aus Funktionszusammenhängen des Alltags, die nun für die Kunst neue Bedeutungen erlangen. Dialeinwände, normalerweise genutzt als neutrale Projektionsflächen für zum Beispiel Urlaubsfotos werden zu dauerhaften Bildträgern von Zeichnungen. Das TV-Gerät, normalerweise genutzt für die wechselnde Übertragung verschiedener medialer Formate des Fiktionalen und Nichtfiktionalen wird zur Wiedergabefläche eines beständigen Artefakts. Ein Teppich, dessen Beschaffenheit und Musterung der Behaglichkeit und Verschönerung des Zuhauses dient, wird zur Grundlage einer Medienvermittlung, die über den privaten Raum hinausgeht und gesellschaftlich-politische Fragestellungen aufwirft. Es werden also nicht nur verschiedene Gattungen und Genres der Bildenden Kunst gemixt, sondern durch diese von den Künstlern gewählte Form sind auch unterschiedliche Sinnzusammenhänge und Bedeutungsebenen anzitiert und zur Disposition gestellt.
Zwei der drei Linienzeichnungen von Helmut Mühlbacher zeigen eng untereinander mit einem schwarzen Fineliner gesetzte schwarze Horizontalen. Diese nehmen, wie Zeilen angeordnet, etwa 2/3 der Fläche in einem rechteckigen Feld ein. Die einzelnen Linien sind dabei vom linken zum rechten Rand, ohne Unterbrechung und ohne den Stift abzusetzen, gezogen. Neben der Konzentration, die erforderlich ist, um die Linie kontinuierlich, in einem Fluss zu ziehen, schreibt sich trotz aller Ritualisierung des Zeichenvorgangs auch die situative Verfasstheit des Künstlers mit ein. Der Druck, mit dem der Stift aufgesetzt wird, variiert, ein leichtes Zittern der zeichnenden Hand, ein kurzes Zögern des Künstlers finden sich unmittelbar in kleinen Unregelmäßigkeiten in der Stiftführung wieder und machen dadurch jede gezogene Linie einzigartig. So stereotyp, neutral und gleichförmig diese Zeichnungen vielleicht auf einen ersten, schnellen Blick wirken mögen, so fragil, unverwechselbar und vielfach motiviert erweisen sich die Striche letztlich. Jede Linie ist eine Spur, die geprägt ist von Zeit und Raum, vom künstlerischen, gestalterischen Ich auf der einen Seite, von der Körnung des Bildträgers andererseits und drittens der Wahrnehmung des Rezipienten.
Es sind seismographische Aufzeichnungen der Wirklichkeit, abstrahiert und verdichtet, die Fragen an das Grundsätzliche aufwerfen können: Was hält die Welt im Innersten zusammen, welche Muster prägen unser Erleben und Empfinden, welche Assoziationen stellen sich ein, wann ist eine Grenze, als die jede Linie gelesen werden kann, ein Schutz und wann dient sie der Abschottung und führt zu einer Vertiefung der Gräben? Auf der dritten Leinwand hat Helmut Mühlbacher das Mittelmeer und die daran angrenzenden Länder dargestellt. Im Gegensatz zum gewohnten Kartenbild ist es allerdings das Meer, das durch schraffierte Linien Gestalt bekommt, und nicht wie üblich die umrissenen Flächen der verschiedenen Länder. Der Betrachter hat zunächst Mühe sich zu orientieren und den Perspektivenwechsel nachzuvollziehen. Die einzelnen Länder der Kontinente von Europa und von Afrika sind wie nicht vorhanden und aufgelöst, gleichermaßen abgegrenzt wie verbunden durch das Meer.
In Erinnerung gerufen sei hier noch einmal, dass Helmut Mühlbacher seine Zeichnungen nicht auf Papier oder Leinwand verwirklicht hat, sondern der Bildträger ist bewusst gewählt in seiner Funktion als eine ursprünglich neutrale Projektionsfläche für die verschiedensten Inszenierungen der Wirklichkeit. Diese Projektionsfläche, die widerspruchslos die digitale und analoge Bilderflut aufnimmt, zeigt und interpretiert uns die Welt, die maßgeblich geprägt und bestimmt ist von der Überwältigungsstrategie der Medien. Urlaubsfotos und Handyfilme, die das Mittelmeer als positiven Sehnsuchtsort der Freizeit und der Erholung definieren, überschreiben sich mit Reportagefotos, die das Mittelmeer als rettende Zuflucht und Zukunft versprechende Transitzone für Schutzsuchende schildern und mit alarmierenden Nachrichtenbildern, die das Meer als einen die mediale Aufmerksamkeit erzwingenden Brennpunkt für gesellschaftliche Konflikte und politische Verwerfungen interpretieren. Helmut Mühlbachers Beitrag zur Rauminstallation „Aquarius“ fordert den Betrachter auf, komplex zu denken, Perspektiven zu wechseln, Zusammenhänge herzustellen, Probleme zu analysieren und nach intelligenten Lösungen zu suchen, die der existentiellen physischen und geistigen Entwurzelung und Unsicherheit von uns Menschen entgegentreten können.
Direkt aus der Flut der vorhandenen Medienbilder, die Helmut Mühlbacher nicht zeigt, schöpft der Theaterregisseur Reinhold Lay sein Material. Seine Videocollage setzt sich zusammen aus Redemitschnitten deutscher Politiker, aus Sequenzen von TV-Sendungen zur Flüchtlingsthematik, historischen Fotografien aus Konzentrationslagern des Dritten Reiches und Standfotos von Menschen verschiedener Herkunft.
Die Mittel für seinen Regiezugriff bestehen in filmischen Cuts, in der Wahl des Ausschnittes, der Geschwindigkeit und Lauflänge sowie dem Konterkarieren der Sequenzen durch eine bestimmte Abfolge, die eine bestimmte Lesart und Interpretation heraufbeschwört.
Bei allen Bestandteilen dieser Collage handelt es sich ja zunächst um Einzeldokumente, die Faktizität für sich beanspruchen, erst ihre Zusammenstellung konstruiert und inszeniert einen Deutungs- und Sinnzusammenhang. Entstanden ist daraus ein Narrativ, eine Erzählung, die durch drastische und verstörende Bilder und Äußerungen und den Furor der Empörung den Betrachter zutiefst provozieren soll: zu zustimmender Bestätigung oder zu wütender Ablehnung. Nun ist die Kunst nicht in erster Linie dazu da, etwas zu erklären und wissenschaftlich korrekt zu analysieren. Aber die Kunst kann durchaus für Erklärungen genutzt werden, vor allem aber stellt sie Fragen an unsere Wirklichkeit und wie wir diese wahrnehmen.
Die Fragen sind es, die einen Erkenntnisgewinn bringen, weniger die vorgefertigten Antworten. Die Videocollage von Reinhold Lay wirkt wie ein Brennspiegel, in dem wir – zugespitzt und mit großer überhitzter Dramatik – unser Bild der Gegenwart erkennen können. Wir erkennen darin die Schärfe und Kompromisslosigkeit der politischen und moralischen Auseinandersetzungen nicht weniger als die Neigung zu Radikalismus und Rechthaberei. Den eingelesenen Texten, die der Besucher über Kopfhörer, stehend oder im Raum umherwandernd vernimmt, kommt dabei die Aufgabe eines vielstimmigen, oft widersprüchlichen Kommentars zu, der den Hörer in einem Strudel von Meinungen, pamphletistischen Bemerkungen und Stammtischparolen hilf- und orientierungslos untergehen lässt.
Ein Rezept dafür, wie sich ein Klima der vergifteten Kommunikation, wachsender Unsicherheit und Entwurzelung nicht in Aggression und populistischen Kreuzzügen entlädt, hat die Rauminstallation „Aquarius“ nicht parat. Aber sie lenkt den Blick auf die medialen Formen der Wirklichkeitsvermittlung, deren Ziel ja in erster Linie heute in der Maximierung von Aufmerksamkeit liegt. Sie plädiert für einen ständigen Perspektivenwechsel, sie lenkt den Blick auf den Horizont, besser gesagt die Horizonte, und ist ein Appell an die konstruktive Kraft des nie endenden Gesprächs.
Vielen Dank.
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Helmut Mühlbacher
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